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Warum Homeoffice in Coronazeiten nicht zum Prototyp taugt
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und es trotzdem keinen Weg daran vorbei gibt

„Ich kann nicht mehr,“ sagte ein Freund neulich zu mir, „Homeoffice macht mich fertig. Ich will wieder zurück ins Büro!“ und damit ist er nicht alleine. Noch vor ein paar Monaten ereiferte sich jener Freund noch über die sture Weigerung seiner Vorgesetzten, von der überholten Präsenzkultur abzuweichen,  mehr Vertrauen in die Mitarbeitenden zu setzen und ihnen mehr Selbstbestimmung über ihre Arbeit zu übertragen. „Wenn ich nur im Homeoffice arbeiten könnte...“ träumte der Freund von seinem großen Arbeitsglück.

Was er dann dank des Corona-Lockdowns erlebte, war durchaus ganz anders, als er sich erhofft hatte: Nach der anfänglichen Euphorie nicht ins Büro zu müssen und der Überwindung der technischen Anfangshürden trat eine große Ernüchterung ein. Auf der Arbeit ist alles wie immer - nur halt im heimischen Umfeld, vereinzelnd und irgendwie digitaler. Verzichten auf öde Meetings? Ne, geht doch auch digital. Weniger Hektik? Keineswegs. Mehr Vertrauen? Pustekuchen. Mehr Selbstbestimmung? Ach, woher? Er fühlt sich richtig unfrei und in seinen Kompetenzen beschnitten. Er, der im zufälligen Plausch mit Kolleg*innen immer so gute Einfälle hat und tolle Kooperationen aufbauen kann.

Wenn alle bedingt durch äußere Einflüsse zu Hause arbeiten müssen, bringt das eben nicht die Vorzüge von eigenverantwortlichem Arbeiten zu Tage. Denn es ist ja alles andere als selbstbestimmt. Die Ordnungssysteme der Familien und Freizeitbereiche sind zusammengebrochen. 24/7 mit Partner*in, Kind/ern, Hund und Geschirrbergen ohne echten Ausgleich zusammen zu sein, ist eben nicht normal, und ganz bestimmt weit entfernt von selbst-ausgesucht. Niemandem war klar, wie lange es so weitergehen wird. Der Mensch wurde von jetzt auf gleich aus seinem Rhythmus geworfen, auch wenn das längst nicht der eigene Beat war. Alle mussten sich gleichzeitig in der neuen Situation zurechtfinden. Was lernen wir daraus für’s Homeoffice?

Lernen wäre schön. In unserer schnelllebigen Zeit, gibt es aber keine Phasen, in denen der Mensch sich an etwas gewöhnen kann und dann mit Sorgfalt aufgrund seiner eigenen Erfahrungen und im Abgleich mit seinen eigenen Vorstellungen, Kompetenzen und Bedürfnissen abwägen kann, was für ihn vielleicht das Wahre wäre. Nein. Jetzt müssen wir bereits entscheiden: Homeoffice? Gut oder schlecht. Immer oder nie. Für alle oder keinen.

Homeoffice - so sagen alle Umfragen zur Zeit - ist gut für konzentrierte Sacharbeit. Es ermögliche effizienteres Arbeiten, sagen vor allem die Arbeitnehmer*innen. Was sollen sie auch anderes sagen, wenn sie diese Form der Arbeit nicht für alle Zeit kaputt machen wollen. Selbstausbeutung sei die Falle, die Homeoffice aufstellt. Es wird gewarnt: Das kann als verstecktes Geschenk an den arglistigen Arbeitgeber verstanden werden. Doch, wo sind wir denn? Längst wissen wir doch, dass die Wissensarbeit keine dienstbaren Arbeitsmarionetten braucht. Sie braucht vielfältige Talente, die sich nicht alle im stillen Kämmerlein oder auf der Online-Bühne entfalten können. Sie lebt von sozialen Interaktionen, vom gegenseitigen Inspirieren und Unterstützen, von Überraschungen und Auseinandersetzungen. Das geht nicht allein. Und das geht nur dann digital, wenn es schon eine Beziehungsbasis gibt oder von allen größte Offenheit gelebt wird.

Meine eigenen Erfahrungen lassen mich schlussfolgern: Ich finde Zeiten mit Homeoffice großartig und trete unbedingt für diese Möglichkeiten ein. Selbst konnte ich erleben, wie durch Homeoffice betriebliche und private Belange ausbalanciert werden konnten. Ich schwöre auf die Vorzüge von Homeoffice bei konzeptioneller Arbeit und bei Organisationsaufgaben. Die meisten Mitarbeitenden schätzten, dass ich als Führungskraft ohne ständige Sitzungen für ihre Bedürfnisse viel besser ansprechbar war und wir mit Hilfe effizienter Telefon-Jour Fixe richtig weiterkamen. Doch für meine Vorgesetzten war ich mit Homeoffice stets suspekt. Das entsprach nicht dem Bild der allzeit präsenten Führungskraft, die ihre eigenen Leute im Griff hatte. Ich könne so meine Mitarbeitende nicht „beaufsichtigen“ und konnte selbst nicht beaufsichtigt werden. Das kratzte am Führungsverständnis der oberen Etage, die ihre Ideale in der Kultur des Hauses umgesetzt sehen wollten. Wenn Sie mich fragen, ein sehr gestriger Ansatz und dazu ein echter Verhinderer von Eigenverantwortlichkeit.

Denn Homeoffice ist nicht mehr und nicht weniger als eine wirksame Möglichkeit für Wissensarbeiter*innen Eigenverantwortlichkeit real werden zu lassen. Wann ich, wo und vor allem wie ich meine Arbeit erledige, beflügelt, macht mich selbst-bewusster im eigentlichen Sinne. Vertrauen in meine Integrität und Kompetenzen ist die Voraussetzung, damit ich produktiv arbeiten kann. Ich weiß, was ich kann und wo ich die Unterstützung anderer brauche. Dann kann ich auch immer besser definieren und kommunizieren, was ich brauche, um meine Arbeit gut zu erledigen und gleichzeitig ein für mich passendes Leben zu leben. Manchmal ist das Homeoffice und manchmal ist es eben das Umgebensein von anderen Menschen. Entwickeln wir ein Umfeld, das über Eigenverantwortung sprechen lernt und sehen wir zu, wie wir Menschen zum guten Umgang mit Autonomie befähigen!

Zurück zu meinem Freund. Sein Arbeitgeber schmiedet schon Pläne, wie sich durch mehr Homeoffice Büroflächen einsparen lassen können und lässt die Corona-Homeoffice-Regelung vorerst weiterlaufen. Doch er hat seine Vorgesetzten überredet. Nächste Woche darf er wieder ins Büro. Dass er sich heimlich mit Kolleg*innen auf ein Käffchen verabredet hat, erwähnte er ihnen gegenüber nicht.

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